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Tiere auf dem Bauernhof

Ok, es fällt mir etwas schwer, aber ihr bekommt in diesem Blogbeitrag einen kleinen Einblick in meine Psyche.

Oft schauen wir den Menschen nur vor den Kopf. Viele von uns verbergen ihre wahren Gefühle im Alltag allein schon, um sich selbst zu schützen. Trotzdem sind diese Gefühle in uns und finden zu einem späteren Zeitpunkt ihr Ventil.

Doch wisst ihr, wann uns beschwerende Emotionen am heftigsten erwischen? Wenn wir uns vorher leicht fühlen und ungeschützt sind.

Aus einer solchen Situation heraus ist dieser Blogbeitrag entstanden.

Im Prinzip war es ein Tag, wie jeder andere. (Wenn man das über unseren Alltag allgemein so sagen kann.)

Naja, sagen wir mal, es ist nichts besonderes passiert. Wir waren auf dem Weg von einer Geburtstagsfeier mit dem Fahrrad nach Hause.

Auf unserem Weg liegt ein Bauernhof und gegenüber vom Hof befindet sich eine Kuhweide.

Nathalie liebt Kühe über alles und so müssen bzw. dürfen wir des Öfteren an dieser Weide stehen bleiben, um mit den Kühen zu sprechen. An diesem Abend kamen die Kühe so nah, dass Nathalie ihnen Gras anreichen konnte. Totale Begeisterung war das Resultat. Ich hätte noch stundenlang zuschauen können. Kühe vermitteln einfach so eine unglaubliche Ruhe und tragen unendliche Liebe in ihren Augen.

Einen Moment darauf hielt ein Auto hinter uns an. Eine Frau  stieg aus (auf dem Beifahrersitz saß ihr Ehemann) und machte uns darauf aufmerksam, dass wir vorsichtig mit dem Zaun sein sollten. Es sei ein Elektrozaun und da die Kühe Menschen gewohnt seien, würden sie durch den Zaun wollen und sich dann verletzen. Wir kamen mit der Frau ins Gespräch. Sie erzählte uns, dass sie die Pflege der Kühe vor drei Jahren übernommen habe. Vorher sei sie durch eine Krankheit in der Hand arbeitslos und nicht mehr vermittelbar gewesen. Die Arbeit mit den Kühen habe sie geheilt. Ihre Hand sei nun wieder voll einsatzfähig.

Wir konnten ihre Liebe zu den Tieren spüren und auch sie merkte unsere Energie und fragte uns, ob wir noch kurz mit auf den Hof kommen wollten, um uns die Jungkühe und Kälber anzuschauen.

Aufgrund der liebevollen Art der jungen Frau gingen wir begeistert mit. Wir freuten uns, dass die Kühe auf einer großen Weide stehen durften und hatten ein sehr positives Gefühl beim Betreten des Hofs.

 

Noch vor dem Eingang des großen Kuhstalls befanden sich kleinere – naja, sagen wir mal – Unterkünfte. Stellt euch eine Betonwanne vor, ca. 2x1 Meter groß. Diese Betonwanne war halb überdacht mit einem Kunststoffdach, das bis zum Boden reichte. Die andere Hälfte war mit einem Stahlgitter umzäunt. Von diesen „Unterkünften“ gab es sechs Stück nebeneinander. In diesen Unterkünften befanden sich je ein männliches oder weibliches Kalb. Als wir die Kälber streicheln wollten, versuchten sie aus unseren Fingern Milch zu saugen. Die Jüngeren mehr als die Älteren.

Irgendwann beruhigten sich die kleinen Kühe und genossen unsere Streicheleinheiten.

Wir erfuhren während dessen, dass die eine Hälfte Fleischkälber und die andere Hälfte Milchkälber seien. Damit sie wachsen und gedeihen bekämen sie Milchpulver.

Die Fleischkälber würden nur vier Wochen auf dem Hof bleiben. Dann kämen sie nach Holland zum mästen. Für Kalbfleisch.

Die Milchkälber haben da mehr Glück, meinte die Frau. Sie würden irgendwann besamt und nach der Kalbung Milch geben. Bis sie unter 15 Liter pro Tag kämen. Dann kämen auch sie zum Schlachter.

Aktuell gebe es eine (Zitat) "Hochleistungskuh" im Stall, die pro Tag 45 Liter Milch gebe.

Auf Nachfrage teilte sie uns mit, dass es ihr schon sehr schwer fiele, die Tiere auszusuchen und zum Abtransport freizugeben. Derzeit betreue sie eine Kuh, die sich nicht zur Melkstation begebe, bevor sie nicht ausgiebig mit der jungen Frau gekuschelt habe. Erst nach diesem intensiven Austausch sei sie bereit, ihre Milch abzugeben. Die Frau sei gerne bereit ihr diese Liebe zu geben. Sie genieße die enge Verbindung genauso sehr wie die Kuh. Nun sei diese gerade dabei immer weniger Milch zu geben. Sie sei bereits seit mehreren Wochen unter der 15-Liter-Abgabe und hätte bereits mehrere Male mit zur Schlachtung gesollt. Die junge Frau bringe es aber noch nicht über ihr Herz, die Kuh freizugeben. Ihr Chef werde die Verzögerung in der Dokumentation sehen, aber dieses Risiko wolle sie eingehen. Wenn es letztendlich doch soweit ist, werde sie sie, wie jede andere Kuh persönlich auf den Hänger bringen, "(...) damit sie nicht auch noch Schläge auf den Hintern bekommt, falls sie sich wehrt."


Die junge Frau berichtet auf die Frage hin, wie sie diese wiederkehrenden Situationen ertragen könne, dass sie sich sich liebevoll um jede einzelne Kuh kümmere bis sie abtransportiert werde. Jede Kuh gehe mit einem Namen und nicht identitätslos vom Hof. Bei unserem Gang durch den Kuhstall stellten wir fest, dass sie wirklich alle 90 Kühe beim namen nennen konnte.

Außerdem wisse sie, dass die Tiere durch den Bolzenschuss nicht leiden müssten. Ihnen würde direkt zwischen die Augen geschossen und anschließend die Kehle durchgeschnitten. Anders sei es bei einer Einschläferung. Dabei würden die Tiere spüren, dass sie sterben.

Weiter erzählte sie uns auf Nachfrage, dass die Milchkühe nach dem Kalben spezielle Zusätze unter ihr Futter gemischt bekämen, damit sie viel und lange Milch produzieren. Ihre Kälber stehen währenddessen in der kleinen Unterkunft vor dem großen Kuhstall und sehnen sich nach mütterlicher Liebe und Zuneigung.

Dieser Hof ist wohl ein Paradebeispiel für eine „artgerechte“ Tierhaltung. Denn auch hinter dem "Aufenthaltsstall" gab es noch eine große Weide, auf der die Milchkühe tagsüber grasen können. Innerhalb des Stalls lagen die Kühe, wenn sie nicht gerade am Futterplatz waren, auf Strohhaufen und hatten ausreichend Platz. Den Erzählungen zufolge sei auch der Besitzer des Hofs sehr tierlieb und besorgt um das Wohl der Tiere.

Nach einigen weiteren emotionalen Erzählungen lud uns die junge Frau noch ein, einmal beim Melken mitzuhelfen, um zu erfahren, wie die Milch „produziert“ würde.

Wir bedankten uns für die Möglichkeit und verabschiedeten uns mit zwei riesengroßen Felsbrocken auf unseren Herzen.

Bereits als wir zu Hause waren und auch am nächsten Morgen sprachen wir kaum ein Wort miteinander. Wir waren vollkommen in uns gekehrt und hatten haufenweise Informationen und Emotionen zu verarbeiten.

Auf der Arbeit brach es dann aus mir heraus. Mein Herz brannte so stark, dass ich irgendwann nicht mehr an mich halten konnte. Alle Dämme brachen und ich konnte nur noch weinen.

Ich weiß nicht, was das Schlimmste war. All diese Bilder wanderten immer wieder durch meinen Kopf und ein Ohnmachtsgefühl schnürte mir die Brust zu.

Die Blicke der Kälber fingen mich immer wieder ein, die sanfte Ruhe der Mutterkühe umhüllte mich und ich sah immer wieder das Bild, auf dem Nathalie es endlich schaffte, diesem wunderschönen Bullen Gras anzureichen.

Gleichzeitig fühlte ich mich schuldig. Wie konnte ich einfach von diesem Hof wegfahren und diese Tiere ihrem Schicksal überlassen. Ich fühlte mich dreckig und gleichzeitig machtlos.

Als ich in Kontakt mit den kleinen und großen Tieren trat, spürte ich einen Energieaustausch. Die Tiere vertrauten mir. Ich fühlte mich, als hätte ich dieses Vertrauen missbraucht.

Auch ich bin Teil dieses riesigen Systems. Auch ich kaufe im Supermarkt ein. Kein Fleisch. Keine Kuhmilch. Keine Eier. Keinen Käse. Aber eben andere Produkte und trage so dazu bei, dass diese Giganten uns alle in der Hand haben.

Wie ist es so weit gekommen? Wie ist es möglich, dass wir alle in einem System mitmachen, dass Tiere als Gegenstände behandelt, ausbeutet und tötet?

Wo genau war der Anfang und was wird das Ende sein?

Was können wir tun, damit sich unser System zu einem System voller Liebe und Wertschätzung entwickelt?

Ich weiß es nicht.

Dieses Erlebnis hat mir einmal mehr die Augen geöffnet. Und obwohl ich mich vorher bereits ausgiebig mit diesem Thema beschäftigt hatte, hat es mir den Stuhl unter meinem Wohlstandshintern weggerissen.

Dieser Blogbeitrag ist aus einer Verzweiflung heraus entstanden in der Hoffnung, der ein oder andere Mensch trägt diese Informationen weiter. Er dient nicht als erhobener Zeigefinger.


Er ist mehr ein Hilferuf.


Vanessa



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